Zuletzt aktualisiert am 28. Juli 2023
Wenn man wie ich als Hundeernährungsberaterin tätig ist, sind Mathe-Kenntnisse eine wichtige Grundlage. Man muss die Menge der Futterkomponenten in den Futterrationen berechnen, die Bedarfswerte berücksichtigen, die in den Komponenten enthaltenen Nährstoffe berechnen und alles dann zusammenfügen. Excel-Tabellen und Taschenrechner sind deshalb wichtiges Handwerkszeug.
Trotzdem ist die Sache mit den Berechnungen eine Art “Milchmädchenrechnung”. Warum? Das erkläre ich dir im Folgenden:
Der Stoffwechsel – eine individuelle Angelegenheit
Der Stoffwechsel – auch Metabolismus genannt – ist vereinfacht gesagt die Gesamtheit der chemischen Prozesse im Organismus. Der Organismus wandelt chemische Stoffe in Zwischenprodukte (Metaboliten) und Endprodukte um. Diese biochemischen Vorgänge dienen dem Aufbau und der Erhaltung der Körpersubstanz (Baustoffwechsel) sowie der Energiegewinnung.
Dabei unterliegt dieser Stoffwechsel ganz individuellen Schwankungen. Heißt, kein Stoffwechsel funktioniert exakt wie der andere. Die Ausbeute, die ein Organismus aus den Nährstoffen in den Futterrationen tatsächlich ziehen kann, ist also total unterschiedlich.
Die Lebensumstände – noch individueller
Kein Hund – oder auch Mensch – lebt wie der andere. Der Energieverbrauch z. B. kann niemals der gleiche sein, selbst wenn zwei Hunde gemeinsam im Haushalt leben und die gleichen Tätigkeiten verrichten. Zwei Hunde, die gemeinsam leben, beide jeden Tag zwei Stunden Gassi gehen, haben trotzdem einen total unterschiedlichen Bedarf.
Während der eine ständig herumspringt wie ein junges Reh, geht der andere gemächlich seine Runden ab. Während der eine sein Futter extrem gut verwertet, läuft das beim anderen eher nicht so optimal ab. Das kann man von außen natürlich nicht merken, höchstens wenn der eine trotz “optimal” berechneter Futtermenge und -zusammensetzung immer fetter wird, während der andere bei gleichen Voraussetzungen ein Hungerhaken wird.
Die Organe – ebenfalls individuell
Auch auf die äußeren Einflüsse reagiert jeder Organismus anders, nicht zuletzt hängt das natürlich auch mit den Genen zusammen. Der eine hat eine sehr gute Basis. Seine Organe können sehr viel kompensieren, die Leber arbeitet z. B. top, sein Organismus reguliert alles selber und er ist quietschfidel. Der andere ist – vielleicht unbemerkt, weil viele Schäden zeigen sich ja richtig erst, wenn sie fortgeschritten sind – nicht so gut aufgestellt.
Seine Bauchspeicheldrüse arbeitet nicht so optimal, er verwertet die Nährstoffe nicht optimal, seine Leber kommt schon mit kleinen Belastungen nicht so gut klar. Oder sein Bewegungsapparat ist aufgrund einer genetischen Disposition viel anfälliger für Störungen, weshalb er eigentlich eine andere Unterstützung bräuchte, als der erstgenannte. Oder die Organe konnten sich nicht optimal entwickeln, weil in der Kindheit/Jugend ein Mangel bestand. Unbemerkt hat der erste Hund nun eigentlich ganz andere Ansprüche an die Futterrationen als der zweite.
Die Nährstoffe in den Futterrationen – kaum nachvollziehbar
Wer weiß denn, ob in 100 g vom Apfel nun 12 mg Vitamin C enthalten sind, oder eher 20 mg? Wer weiß, wie viel Calcium ein Stück fleischiger Knochen TATSÄCHLICH enthält? Und wer weiß, wie viel Menge in diesem Knochen nun Knochen und wie viel Fleisch sind? Je nach Herkunft der Komponenten, Anbau, Böden oder auch Tierhaltung bei Fleisch können diese Werte sogar ganz extrem schwanken. Bekommt ein Hund eine Mahlzeit aus Biogemüse, Biofleisch, Biogetreide etc. sehen die Nährwerte wohlmöglich anders aus, als wenn er alle Zutaten aus herkömmlichen Quellen erhält.
Die Bedarfswerte – Schätzungen, die sich je nach Quelle unterscheiden
Wenn man ermitteln möchte, ob Futterrationen den Nährstoffbedarf erfüllen, braucht man natürlich erst einmal die Bedarfswerte. Diese Bedarfswerte wurden in Studien ermittelt, die z. B. anhand von Tierversuchen durchgeführt wurden. So ermittelte man in Mangelversuchen, was passiert, wenn Nährstoffe fehlen und in anderen Versuchen, welche Wirkung bei welchen Dosierungen der Nährstoffe eintreten. Aus solchen Versuchen sind die Bedarfswerte entstanden, die heute gelten.
Hinzu kommt, dass es verschiedene Quellen für diese Bedarfswerte gibt und diese sich in ihren Angaben zumindest teilweise unterscheiden. Die Unterschiede sind i. d. R. nicht groß, aber sie sind gegeben. Als wichtigste Quellen für die Bedarfswerte der Hunde gelten das NRC (National Research Council), sowie die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie oder auch “Der Zentek”, das Standardwerk der Hundeernährung.
Noch interessanter wird es, wenn man einen Blick auf die Bedarfswerte für Menschen wirft: ein Deutscher scheint andere Nährstoffmengen zu benötigen als ein Engländer oder ein Amerikaner. Es ist nämlich so, dass die Empfehlungen zur Nährstoffversorgung sich in verschiedenen Ländern unterscheiden. Daran sieht man, dass diese Bedarfswerte nicht “der heilige Gral” sein können.
Und was haben die Menschen gemacht, als sie noch keine Nährwerte und Bedarfswerte kannten? So lange ist das noch gar nicht her. Um 1880 entstand die Idee, dass Nahrungsmittel wichtige Stoffe enthalten, die lebensnotwendig sind. Aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die Entdeckung der Nährstoffe richtig Fahrt auf. 1920 bekam z. B. der lange gesuchte „antiskorbutische Faktor“ seinen heutigen Namen: Vitamin C.
Individuelle Bedingungen
Zu guter Letzt kommt dann außerdem noch zum Tragen, was der Hund tatsächlich aufnimmt. Hat der Hund z. B. einen Magen-Darm-Virus und bricht sein ganzes Futter wieder aus, ist die ganze Berechnung dahin, weil die Nährstoffe dieser Mahlzeit komplett fehlen. Frisst der Hund den Knochen nicht ganz auf, sondern lässt die Hälfte liegen, sind die Berechnungen ebenfalls dahin.
Fazit
Wenn man sich anschaut, wie groß die Schwankungen dieser einzelnen Bereiche sein können, kann man sich vorstellen, wie groß erst einmal das Gesamtergebnis schwanken kann. Als Orientierungs-Grundlage macht es natürlich Sinn solche Berechnungen anzustellen.
Diese Berechnungen können aber lediglich ein roter Faden sein, an dem man sich orientieren kann. Man kann und darf diese Werte nicht auf die “Goldwaage” legen, das funktioniert einfach nicht. Es ist wichtig, alle weiteren Faktoren zu berücksichtigen und am Ende den Hund anzuschauen. Die besten Rückschlüsse auf die richtige Versorgung lässt immer noch das Gesamterscheinungsbild des Hundes zu. Sein Aussehen (Fell, Haut, Zähne, Augen), sein Verhalten, seine Gewohnheiten. HIER kannst du erfahren, wie du die Futterrationen für deinen Hund einfach selber gestalten kannst.
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